In Memoriam Prof. Dr. Arno Löffler

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“Life itself is but the shadow of death, and souls departed but the shadows of the living. All things fall under this name. The sun itself is but the dark simulacrum, and light but the shadow of God.”

SIR THOMAS BROWNE

Das Kollegium des Institutes Anglistik und Amerikanistik trauert um Prof. Dr. Arno Löffler, der – für uns völlig überraschend – am 17. Oktober 2023 im Alter von 83 Jahren verstarb. Mit Arno, der von 1968 bis 2005 an unserem Institut zunächst als wissenschaftlicher Assistent, anschließend als Akademischer Rat und seit 1982 als Professor tätig war, verlieren wir nicht nur einen brillanten Literaturwissenschaftler, einen in seiner aktiven Zeit vor der Emeritierung äußerst engagierten Lehrer und stets inspirierenden Kollegen, sondern auch einen guten Freund und einen unersetzlichen Menschen.

Arno Löffler zählte zu der kleinen Gruppe herausragender Literaturwissenschaftler, denen es gelingt, ihren Untersuchungsgegenstand, die Literatur, nicht als Objekt weltferner akademischer Analysen zu betrachten. Er nahm die ‚Philologie‘ beim ‚Wort‘ und ließ es nicht zu, dass sie sich in abstrakten Theoriewelten auflöste. Sein Lebenswerk zeugt davon, dass er Literatur als Ausdruck gelebten Lebens betrachtete, in dem sich tragische und komische, sinnvolle und absurde, erschütternde und tröstliche Geschehnisse als die groteske ‚Einheit des Unvereinbaren‘ zu erkennen geben. Sein – auf einem unerschütterlichen hermeneutischen Ansatz und humanistischen Fundament gleichermaßen basierendes – Interesse galt der condition humaine im Sinne des Menschlichen, aber auch durchaus im Sinne des ‚Allzu-Menschlichen‘. Wer das Glück hatte, Arno zu kennen, oder wer ihn gar zu seinen Freunden zählen durfte, lernte einen Menschen schätzen, bei dem man unmittelbar spürte, dass er sein beeindruckendes Fachwissen – erarbeitet in Jahrzehnten täglicher Lektüre – nicht pedantisch auf staubtrockene Karteikästen verteilte, wie dies die intellektuellen ‚Kuriositätensammler‘ des 17. Jahrhunderts, denen unter anderem sein besonderes Forschungsinteresse galt, zu tun pflegten. Arno war vielmehr das veritable Gegenteil pedantischer Gelehrsamkeit, er war die Inkarnation des ‚lebendigen Wissens‘, ja auch – und ganz bestimmt – des ‚Wissens in Bewegung‘, lang bevor diese Kollokation zum offiziellen Slogan unserer Universität, der Friedrich-Alexander-Universität, wurde. Seine intensiven, von der Fachwelt vielbeachteten Studien zu Autoren und Autorinnen wie Sir Thomas Browne, Abraham Cowley, Jonathan Swift, Henry Fielding, Charlotte Lennox, Oliver Goldsmith, aber auch Aubrey Beardsley, James Joyce und Philip Larkin brachten nicht nur literaturwissenschaftliche Standardwerke hervor (etwa die Habilitationsschrift The Rebel Muse, die sich nach wie vor hoher Reputation in der Swift Forschung erfreut), sondern sie hatten in unübersehbarer Weise substanziellen Anteil an der Gestaltung seiner Persönlichkeit. In Arnos Publikationen und, wie mir früher von zahllosen Studiereden in Gesprächen bestätigt wurde, auch in seinem Unterricht fand nicht nur eine Rekonstruktion, sondern eine wahrhafte Wiederbelebung des historischen Wissens statt. In Arnos Gegenwart wurde Wissensstoff lebendig, vermeintlich verstaubte Inhalte gewannen plötzlich ungeahnte Aktualität, sodass sich ein Seminar über die ‚englische Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts‘ als wertvolle Examensvorbereitung und praktikable Lebenshilfe zugleich entpuppen mochte. Für viele Generationen von Studierenden der Anglistik war der kleine rote UTB-Band mit dem Titel Einführung in das Studium der englischen Literatur, den er mit Eberhard Späth und Dieter Petzold, zwei seiner besten Freunde, herausgegeben hatte, die erste Begegnung mit der Sekundärliteratur, die ebenfalls mit Späth zusammengestellte Anthologie English Poetry und der Sammelband Geschichte der Englischen Kurzgeschichte gelten noch heute als Pflichtlektüre in einschlägigen Pro- und Hauptseminaren.

Sein wissenschaftliches Œuvre ist ebenso hochkarätig wie facettenreich. Aber es ist weit mehr als nur das: Seine exzellenten Ausführungen zu den Hogarthschen Kupferstichen sind Beispiele gelungener Bildexegese, sie geben aber auch Arnos Sympathien für Hogarths’ Lebenseinstellung zu erkennen, der ja in seinen Bildern bewiesen hatte, dass man den Menschen nicht zu karikieren brauche, da schon eine naturgetreue zeichnerische Darstellung einzelner Individuen einer gewissen Lächerlichkeit nicht entbehre; seine gelehrten Analysen der Swiftschen Verssatiren verdankt die Forschung wertvolle Erkenntnisse in die Arbeitsweise und die Mentalität des Dekans von St Patrick, sie inspirierten Arno aber auch dazu, die eigene Umgebung, auch und gerade die des –  von langwierigen Sitzungen und zweifelhaften Gremien geprägten – akademischen Alltags genüsslich mit dem Blick des allerdings eher horazisch gestimmten Satirikers zu betrachten. Sein Interesse für ‚Literatur und Kosmetik‘ zeitigte nicht nur aufschlussreiche Einblicke in die Naturgeschichte des Schminkens und die Strategien ästhetischer Tarnmanöver im Geschlechterkampf, sie bestätigten ihn auch in der Einsicht, dass man im wahren Leben zwischen Sein und Schein zu unterscheiden habe.

Seine eigenen, häufig amüsierten, Einsichten teilte er seinem Gegenüber dann auch augenzwinkernd mit, vorbereitet nur durch einen subtil angedeuteten Ausdruck von Erheiterung, mit einem bemüht ernsten Blick knapp über seine Brillengläser hinweg, während seine Stimme bereits jenen unverkennbaren Klang annahm, mit dem er seine pointierte Bemerkung, die durchaus das Zeug zu einer veritablen Sottise hatte, ankündigte und die dann zu unvermeidbaren Heiterkeitsanfällen bei seinen Gesprächspartnern führte. Wenn wir uns an Arno erinnern, so bleibt auch das Bild, wie er selbst nicht umhinkonnte, seine Brille abzunehmen, um sich dezent eine Träne aus der Lachfalte zu tupfen.

Soweit ich das zu beurteilen vermag, liebte Arno seinen Beruf in all seinen Facetten, für ihn war der Beruf eine Berufung. Aber er pflegte auch das Leben außerhalb der Universität, in seiner Familie, im Zusammensein mit seiner Frau Angela und seinen Kindern Xenia, Pia und Jonas. Persönlich erinnere ich mich an zahlreiche Gespräche über eine Freizeitbeschäftigung, die uns beide verband, die Leidenschaft für Fotografie. Ein Abschiedswort an unseren Kollegen wäre aber unvollständig ohne den Hinweis auf die große Passion, die Arno für die Musik hegte. Er war nicht nur ein hervorragender Literaturwissenschaftler, sondern auch ein kenntnisreicher Liebhaber der klassischen Musik.

Heute ist es die traurige Pflicht dieses Nachrufs, von ihm Abschied zu nehmen. Das ist schwer und kann eigentlich nie wirklich gelingen. Doch auf einen Trost möchte ich abschließend noch zu sprechen kommen. In Günther Anders’ Buch Blick vom Turm findet sich die weise Bemerkung, dass ein Mensch erst dann endgültig gestorben ist, wenn niemand – wirklich niemand – mehr an ihn denkt. Das allerdings – und ich glaube, ich spreche im Namen aller derer, die ihn gekannt haben, können wir versprechen: Wir werden uns noch sehr, sehr lange an ihn erinnern, weil wir gar nicht anders können, denn er war eine Bereicherung für unser berufliches und privates Leben.

Prof. Dr. Rudolf Freiburg